Bild: Jessica Starzetz / BDKJ Aachen

Baustellen: Schauplatz ausbeuterischer Arbeitsbedingungen

1. Dezember 2020

EU-Bürger*innen können grenzüberschreitend in allen EU-Mitgliedsländern ihren Arbeitsplatz frei wählen. Das nennt sich „Arbeitnehmerfreizügigkeit“. Doch viele der nach Deutschland zugewanderten Beschäftigten aus Süd- und Osteuropa leiden bei uns in Deutschland unter menschenunwürdigen Arbeits- und Wohnbedingungen. Insbesondere in Branchen, in denen zum Teil weniger qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht werden, werden Menschen aus den süd- und osteuropäischen Ländern ausgebeutet. Die Branche, die in Deutschland mit am meisten von ausbeuterischen Arbeitsbedingungen betroffen ist, ist die Baubranche.

Arbeitsausbeutung auf dem Bau

Zwei konkrete Beispiele von ausbeuterischen Arbeitbedingungen in Deutschlands Baubranche findet man nach nur wenig Recherche in Presseberichten.
Da ist ein Bauingenieur aus Rumänen: Er arbeitet in Deutschland und bekommt nur unregelmäßig Lohn, nach einiger Zeit erhält er gar keinen Lohn mehr. Er klagt sein Recht ein. Die Konsequenz: Per SMS wird ihm gekündigt.

Ein rumänischer Hilfsarbeiter arbeitet auf einer Berliner Baustelle: Dimitru C. reiste, nachdem er von seinem Cousin angeworben worden war, nach Berlin, um dort auf einer Baustelle zu arbeiten. Seine Unterkunft – eine Zweizimmerwohnung – teilte er mit 17 anderen Männern. Zuerst erhielt er regelmäßig Lohn. Das waren 5 bis 6 € pro Stunde (Er wusste nicht, dass ihm der Tariflohn für Hilfsarbeiter von rund 11 Euro zustand.) Doch nach einigen Wochen wurden die Zahlungen unregelmäßig und blieben dann ganz aus. Den versprochenen Arbeitsvertrag gab es nie.

Schwarzarbeit in der Baubranche

Wer sich mit der Baubranche in Deutschland beschäftigt, stößt schnell auf den Begriff „Schwarzarbeit“. Hierunter fallen zum Beispiel Arbeiten, die gegen das Steuerrecht oder das Sozialversicherungsrecht verstoßen oder bei denen die Mitteilungspflichten gegenüber Behörden und Sozialträgern umgangen werden.

Allein im vergangenen Jahr ist durch illegale Beschäftigung (einhergehend mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen) und Schwarzarbeit in Deutschland ein volkswirtschaftlicher Schaden (also nicht gezahlte Steuern und Sozialabgaben) von fast 400 Millionen Euro entstanden. Das ist eine unvorstellbare Zahl, nicht wahr? Im Jahr 2017 wurde der Anteil der Schwarzarbeit im Baugewerbe auf ca. 27 % geschätzt – das ist ca. ein Drittel des gesamten Gewerbes.

Mitarbeiter*innen werden um ihren Lohn geprellt, Lohnabrechnungen gefälscht und Umsatzsteuern hinterzogen.

In der Baubranche gibt es häufig ausbeuterische Arbeitsbedingungen.
Bild: Jessica Starzetz / BDKJ Aachen

Gleichzeitig leiden die Betriebe, häufig Bauunternehmen aus dem Mittelstand, die sich an die Steuer- und Sozialabgaben halten und Tariflöhne zahlen, unter den illegalen Methoden ihrer Konkurrent*innen. Diese können – logischerweise – stets günstiger ihre Arbeiten anbieten als fair zahlende Betriebe.

Hinzu kommt, dass viele Deutsche Verständnis für Schwarzarbeit haben. Das Ergebnis einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL Aktuell im Jahr 2019 unter 1003 Befragten ergab, dass ca. zwei Drittel aller Bürger*innen Verständnis dafür haben, wenn Privatpersonen andere (z.B. Reinigungshilfen, Gärtner*innen oder Handwerker*innen) ohne Rechnung – schwarz – beschäftigen.

Risikofaktoren für ausbeuterische Arbeitsbedingungen

Es gibt verschiedene Risiken, die zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen führen können.
Beispielsweise können abgeschiedene, schwer zugängliche und/oder weitläufige Arbeitsplätze schlecht durch Dritte überwacht werden.
Ist in einer Branche der Bedarf von Arbeitskräften saisonal abhängig und durch den lokalen Arbeitsmarkt nicht ausreichend abgedeckt, ist dies ebenfalls ein Risiko für Arbeitsausbeutung.
Ein weiterer Risikofaktor für ausbeuterische Arbeitsbedingungen sind arbeitsintensive Aktivitäten, die nur geringe Qualifikationen erfordern, geringe Einstiegsbarrieren haben und Arbeitskräfte austauschbar machen.
Sobald die Lieferketten komplex und viele Lieferant*innen sowie Unterauftragsnehmer*innen beteiligt sind, besteht ein höheres Risiko für ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Denn durch die Komplexität ist es schwer, die Einhaltung von Arbeitsstandards zu überwachen.
Auch ist es in manchen Branchen weit verbreitet, zum Teil informelle Arbeitsvermittler*innen zu benutzen, die in Osteuropa Arbeitnehmer*innen anwerben. Dies ist ein weiteres Risiko für Arbeitsausbeutung, da den Arbeitnehmer*innen die Arbeitsbedingungen des Jobs im Ausland nicht richtig vermittelt werden.

Stark verbreitetes Problem in der Baubranche: „Subunternehmen“

In der Baubranche finden sich gleich mehrere Risikofaktoren, die Arbeitsausbeutung begünstigen. So sind die Arbeitsplätze – Baustellen – teilweise schwer zugänglich und weit verstreut. Zudem ist auch die Baubranche saisonal abhängig. Wenn im Winter Minusgrade herrschen, kann nicht gebaut werden. Wie zu Beginn des Artikels erwähnt, gibt es auf Baustellen viele Aufgaben, die wenige Qualifikationen erforden. Informelle Arbeitsvermittler*innen im osteuropäischen Ausland sind, wie das Beispiel der Arbeitsvermittlung bei Dimitru C. zeigte, in der Baubranche verbreitet. Ebenso gibt es undurchsichtige Lieferketten und viele Subunternehmen, die Arbeitnehmer*innen systematisch um ihren Lohn betrügen.

In der Studie „Geschäftsmodell Ausbeutung. Wenn europäische Arbeitnehmer_innen in Deutschland um ihre Rechte betrogen werden“ der Friedrich Ebert Stiftung (Erscheinungsjahr: April 2015), beschreibt die Autorin detailliert, wie Arbeitnehmer*innen in der Baubranche durch Briefkastenfirmen um ihren Lohn betrogen werden. Dadurch, dass Unternehmen andere Unternehmen beauftragen, um Dienstleistungen und andere Gewerke zu erfüllen und diese wiederum mit Unternehmen zusammenarbeiten, die Arbeitnehmer*innen beschäftigen, wird das gesamte System undurchsichtig und Spielraum für Arbeitsausbeutung eröffnet.

Schwarzarbeit in der Baubranche bekämpfen

Es gibt verschiedene Ansätze, um Schwarzarbeit und Ausbeutung in der Braubranche zu bekämpfen.

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung (FKS) prüft Geschäftsunterlagen und darf Personenbefragungen auf Baustellen durchführen. Das erlaubt das Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung (SchwarzArbG). Zum 01.07.2019 trat ein Gesetz in Kraft, welches die Bekämpfung der Schwarzarbeit stärkt.

Ebenso gelten seit Ende Juli 2020 strengere Regelungen bei der Entsendung von Arbeitnehmer*innen nach Deutschland. Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Kosten der Entsendung (Reise-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten) nicht Teil des Bruttolohns sein dürfen, sind nun im Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) klargestellt.

Beide Gesetze sind ein wichtiger Schritt zur Beklämpfung von Schwarzareit und Arbeitsausbeutung in der Baubranche. Doch ob diese tatsächlich greifen, wird erst die Zukunft zeigen.

Prof. Dr. Friedrich Schneider von der Universität Linz hat bereits 2017 verschiedene Maßnahmen genannt, die man einführen könnte und sollte, um Schwarzarbeit in der Baubranche einzudämmen.

Auch auf der Fachtagung „Zukunft Europa: Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ des gleichnamigen Projektes, die am 30. Oktober 2019 stattfand, mahnten verschiedene Expert*innen, dass es vor allem ein umfassendes und funktionierendes Kontrollsystem in Deutschland brauche, um Arbeitsausbeutung effektiv zu bekämpfen.

Weitere Ideen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit in der Bauwirtschaft und eine gute Übersicht zur Schwarzarbeit in der Bauwirtschaft findet ihr in dem Fachartikel „Bekämpfung der Schwarzarbeit in der Bauwirtschaft: Haftungsrisiken erhöhen“ der SOKA-Bau.

Hintergrund der Themenreihe Arbeitsmigration: Schwerpunkt der 63. Aktion Dreikönigssingen

Die 63. Aktion Dreikönigssingen mit ihrem Motto „Kindern Halt geben. In der Ukraine und weltweit!“ und die Bundesweite Eröffnung in Aachen haben uns veranlasst, das Thema Arbeitsmigration in Deutschland genauer zu beleuchten.

Denn „Arbeitsmigration“ ist das tiefergehende Thema, mit dem sich die diesjährige Aktion Dreiköniggssingen am Beispielland Ukraine genauer beschäftigt. Arbeitsmigration bedeutet, dass Menschen in einem anderen als in ihrem Herkunftsland einer Erwerbstätigkeit nachgehen. In der Ukraine ist das häufig der Fall. Mit knapp 42 Millionen Einwohnern gehen nach einer Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation ca. 1,5 Millionen Ukrainer*innen einer Arbeit im Ausland nach. Der Grund dafür ist die schwierige wirtschaftliche Situation in der Ukraine. Armut, mangelnde Einkommensmöglichkeiten, hohe Arbeitslosigkeitszahlen und niedrige Gehälter gehören in der Ukraine zum Alltag. Viele Ukrainer*innen arbeiten deshalb unter ausbeuterischen Bedingungen im Westen Europas und müssen eine Trennung von ihrer daheimgebliebenen Familie in Kauf nehmen. Kinder müssen auf ein Elternteil, manchmal sogar auf beide Elternteile, verzichten.


Text: Jessica Starzetz / BDKJ Aachen

Ausgewählte Quellen und weitere Informationen zum Thema ausbeuterische Arbeitsbedingungen in Deutschlands Baubranche:

Artikel: Neuregelungen zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz in Kraft getreten, Haufe Online Redaktion, 30. Juli 2020.

Artikel: Erfolgreicher Kampf gegen illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit – Schäden von fast 400 Mio. Euro aufgedeckt, SOKA-BAU, 06. Oktober 2020.

Artikel: Schäden von fast 400 Mio. Euro durch illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit – allein 2019, baulinks.de, 11. Oktober 2020.

Artikel: Deutsche Bischöfe: Auch in Deutschland werden Menschen ausgebeutet, vatican news, 29. Juli 2020.

Artikel: Traurig: Viel Verständnis für Schwarzarbeit, Bauletter / Baulinks.de, 21. Juli 2019

Bericht: „Zukunft Europa: Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ – Fachtagung diskutiert Lösungswege, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, 30. Oktober 2019.

Studie: Moderne Sklaverei und Arbeitsausbeutung. Herausforderungen und Lösungsansätze für deutsche Unternehmen, Global Compact Netzwerk Deutschland, November 2018.

3. Jahresbericht zur Menschenrechtssituation in Deutschland, Deutsches Institut für Menschenrechte (DIMR), 2018.

Artikel: Ausbeutung von Arbeitsmigranten angeprangert, Deutsche Welle, 05.12.2018.

Artikel: Ausgebeutet – mitten in Europa, Deutsche Welle, 21.08.2015.