Aachen, 14.06.2021. Mit den Protestierenden in Kolumbien hat sich der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Bistum Aachen auf seiner Diözesanversammlung am vergangenen Wochenende solidarisiert. Kolumbien, seit den 1960ern das Partnerland des Bistums Aachen, ist derzeit geprägt von massiven sozialpolitischen Spannungen und Verletzungen des Friedensabkommens zwischen der Regierung, Paramilitärs und Guerilla-Gruppen.
Darüber hinaus legte die Versammlung Ziele für die konkrete Partnerschaftsarbeit mit zwei Organisationen in Kolumbien fest, zu denen der BDKJ seit 2013 jedes Jahr Freiwillige im Rahmen eines Freiwilligendienstes entsendet. Die Freiwilligendienste machen den interkulturellen, soziokulturellen und politischen Austausch erlebbar und gestalten die Partnerschaft.
Die Friedensverhandlungen unter
dem ehemaligen Präsident Santos und das daraus resultierende Friedensabkommen
aus dem Jahr 2016 ließen die Kinder- und Jugendverbände neue Hoffnungen für Kolumbien
schöpfen. Nach über 50 Jahren innerkolumbianschem, bewaffnetem Konflikt zwischen
der Regierung, Paramilitärs und Guerilla-Gruppen wurden im Friedensabkommen
Regelungen in Bezug auf die gerechte Landverteilung, Soziale Gerechtigkeit und
Versöhnung getroffen.
Während der Friedensverhandlungen zwischen 2012 und 2016 ist die Gewalt in
Kolumbien, besonders auch gegen Sozialaktivist*innen, zurückgegangen.
Seit der Wahl Duques zum
Präsidenten im Jahr 2018 verschlechterte sich die sozialpolitische Situation im
Land jedoch drastisch. Duque lehnte das Friedensabkommen schon vor seiner Wahl
ab.
Seit er im Amt ist, wird die Umsetzung verzögert und Beschlüsse des Abkommens
systematisch nicht eingehalten. Vor allem der Schutz der Ex-Guerilleros der
ehemaligen Guerilla-Gruppe FARC-EP[1] ist wird
nicht gewährleistet. Allein im Jahr 2020 wurden 64 und im laufenden Jahr 2021
bereits 23 ehemalige FARC-EP Kommandeure, die das Friedensabkommen
unterzeichnet hatten, ermordet[2].
Seit 2018 haben auch die
Bedrohungen gegen Sozial- und Umweltaktivist*innen stark zugenommen und die
Anzahl der ermordeten Aktivist*innen nimmt weiter zu: 298 (2018), 279 (2019),
310 (2020)[3].
Bereits Ende 2019 kam es zu großen Massenprotesten gegen die Politik von Duque
und für die Einhaltung des Friedensabkommens, Schutz für Aktivist*innen, aber
auch gegen Soziale Ungerechtigkeit und die allgegenwärtige Korruption[4] (Platz
92 im Korruptionswahrnehmungsindex).
Diese Massenproteste fanden im März 2020 ein Ende, nicht zuletzt wegen der
aufkommenden Corona-Pandemie. Anstöße und Veränderungen in der Sozialpolitik
durch die Proteste konnten jedoch leider nicht erreicht werden[5].
Seit dieser Zeit stellt die Pandemie viele Kolumbianer*innen vor extreme alltägliche Herausforderungen: Etwa die Hälfte der kolumbianischen Bevölkerung arbeitet im sogenannten informellen Arbeitssektor[6], der aufgrund der Pandemie und den Eindämmungsmaßnahmen extrem eingeschränkt ist.
Die ökonomische Lage vieler
Menschen ist prekär und hat essentielle Auswirkungen auf ihre Lebensrealität.
Der Anteil jener, die extrem von Armut betroffen sind, ist enorm[7].
Jugendarbeitslosigkeit, schlechte Bildungschancen und die Privatisierung des
Bildungssektors benachteiligen besonders die jungen Generationen Kolumbiens.
Es fehlt an staatlichen Hilfen, um die fehlenden Löhne zu kompensieren, an
Unterstützungsprogrammen in Bereichen der Bildung und Familienbegleitung,
Digitalisierung und Gesundheit.
Vor diesem Hintergrund gehen seit dem 28. April 2021 in Kolumbien wieder Menschen auf die Straße. Darunter sind vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, um ihrer Unzufriedenheit mit der aktuellen politischen, ökonomischen und sozialen Situation Ausdruck zu verleihen.
Der konkrete Auslöser für diesen
Generalstreik war die Reform des Steuerrechts, welche die ökonomische
Benachteiligung besonders vulnerabler Bevölkerungsgruppen noch weiter verstärkt
hätte. Diese Steuerreform wurde zwar mittlerweile zurückgezogen, doch die
Proteste halten an.
Die Gründe sind zahlreich: Wie bereits dargestellt ist die ökonomische und
soziale Situation vieler Kolumbianer*innen durch die Corona-Pandemie zunehmend
prekär. Kritisiert wird auch die neu angekündigte Gesundheitsreform, welche den
Zugang zur Gesundheitsversorgung für den Großteil der Bevölkerung
verschlechtert und einer Privatisierung des Gesundheitssystems gleich kommt.
Vorsorgemaßnahmen, gesundheitliche Aufklärung sowie das ganzheitliche
Verständnis von Gesundheit werden abgeschafft.
Stattdessen steht ausschließlich die akute Behandlung von Krankheiten im
Vordergrund. Auch die bereits erwähnten Verstöße gegen das Friedensabkommen von
2016, die anhaltende Ermordung von Menschenrechts-, Sozial- und
Umweltaktivist*innen und Polizeigewalt gegen Zivilist*innen sowie die im Zuge
der Proteste begonnene Militarisierung der Städte tragen dazu bei, dass der
Generalstreik fortgesetzt wird. Dadurch sind, neben den ohnehin bewaffneten
Polizist*innen, auch Soldat*innen mit Kriegswaffen und Panzern während den
Protesten präsent.
Bei den anhaltenden Protesten kommt es zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen gegen Demonstrant*innen durch die Polizei und das Militär. Dabei wurden zwischen dem 28. April und dem 7. Mai mindestens 47 Menschen getötet und viele willkürlich verletzt.[8] Es wurden über 500 Personen verschleppt und beinahe 1000 verhaftet.[9] Ihre Aufenthaltsorte sind weiterhin unbekannt. Auch sind 12 Fälle sexualisierter Gewalt gegen Frauen während der Proteste dokumentiert.[10]
Diese Ereignisse werden durch die aktuelle Regierung nicht verurteilt. Sie reduziert die Proteste auf Vandalismus und bezeichnet die Protestierenden unter anderem als“Stadt-Terroristen”.[11] Dadurch wird das menschenverachtende Vorgehen durch die Polizei und das Militär zusätzlich bestärkt.
Die katholischen Kinder- und Jugendverbände im Bistum Aachen verurteilen die Gewalt gegen Demonstrant*innen und fordern ihre lückenlose Aufklärung. Sie unterstützen die Forderungen der Protestbewegung:[12]
Weitere Anträge rund um das Thema
Globale (Un-)Gerechtigkeit wurden auf der Diözesanversammlung thematisiert und
beschlossen. So fordert der BDKJ die Regierungen Deutschlands und der EU auf,
sich ihrer globalen Verantwortung bewusst zu werden und sich für die gerechte
Verteilung von Impfungen einzusetzen. Außerdem beschlossen sie, zukünftig alle
Nestlé-Produkte von Veranstaltungen und Versammlungen zu verbannen und einen
öffentlichkeitswirksamen Nestlé-Boykott zu beginnen. Hintergrund sind der
unverantwortliche Umgang des Konzerns mit der Umwelt und Missstände bei den
Arbeitsbedingungen von Mitarbeitenden im Globalen Süden.
[1] FARC-EP: Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia–Ejercito del Pueblo (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Armee des Volkes) war bis zur Auflösung 2016 die größte Guerilla Gruppe in Kolumbien.
[2] http://www.indepaz.org.co/wp-content/uploads/2020/07/3.-Informe-Especial-Asesinato-lideres-sociales-Nov2016-Jul2020-Indepaz-2.pdf
[3] Ebd.
[4] https://www.transparency.de/cpi/cpi-2020/cpi-2020-tabellarische-rangliste/
[5] https://www.aa.com.tr/es/pol%C3%ADtica/gobierno-colombiano-y-comit%C3%A9-nacional-de-paro-no-llegaron-a-ning%C3%BAn-acuerdo/1732518#
[6] Unter den informellen Arbeitssektor fallen Tätigkeiten, die nicht in offiziellen Statistiken erfasst werden. Hauptsächlich in der Herstellung und der Verkauf von Produkten auf lokalen Märkten sowie einfache Dienstleistungen.
[7] https://www.indexmundi.com/g/r.aspx?c=co&v=69&l=de
[8] http://www.indepaz.org.co/cifras-de-violencia-policial-en-el-paro-nacional
[9] Ebd.
[10] Ebd.
[11] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/kolumbien-proteste-115.html
[12] https://colombia.as.com/colombia/2021/05/08/actualidad/1620505980_170906.html
[13] https://www.dw.com/de/kolumbien-will-wieder-glyphosat-aus-der-luft-zur-koka-bekämpfung-einsetzen/a-52659272
Alle Beschlüsse der Diözesanversammlung können hier eingesehen werden.
Pressemitteilung als PDF: BDKJ Aachen solidarisiert sich mit Protestierenden in Kolumbien