Wer wählt freiwillig Pflicht? Dazu haben sich die 40 Teilnehmer*innen und Expert*innen bei dem Diskussionsabend im Rahmen der Generation jetzt! ausgetauscht. Die Generation jetzt! ist eine Bewegung, die sich für eine gerechte Gesellschaft und die Anliegen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einsetzt. Intensiv diskutierten die Teilnehmenden über die Forderung nach einer Einführung eines Pflichtjahres und der Vision eines Rechtsanspruchs auf einen Freiwilligendienst. Insgesamt wurde deutlich, dass eine Dienstpflicht weder realistisch umsetzbar noch als gesellschaftlich erstrebenswert zu bewerten ist.
Zu Beginn gab es zwei fachliche Inputs von Prof. Dr. Bernhard Schlink, Verfassungsrechtler und Autor (“Der Vorleser”) sowie Phillipp Soggeberg (Geschäftsführung Freiwillige Soziale Dienste Bistum Münster gGmbH) zu den möglichen Ausgestaltungen eines freiwilligen gegenüber einem verpflichtenden sozialen Dienst.
Zusammenhalt stärken vs. Fachkräftemangel beheben
Professor Bernhard Schlink betonte, dass ein Gesellschaftsjahr den Zusammenhalt stärken und Menschen zusammenbringen könne, die sonst nichts miteinander zu tun hätten. Er wies auch auf die verfassungsrechtlichen Hürden eines Pflichtdienstes und den hohen Aufwand für Infrastruktur und Finanzierung hin. Er kam zu dem Schluss: „Ein flächendeckender Pflichtdienst lässt sich in absehbarer Zeit überhaupt nicht realisieren – weder in der Wehrpflicht noch im sozialen Bereich. Was derzeit diskutiert wird, sind lediglich kleinteilige und schrittweise Modelle, wie in Schweden oder Frankreich.“
Philipp Soggeberg, stellte die Frage in den Raum, warum eine Pflicht nötig sei und wozu überhaupt verpflichtet werden solle. Er betonte, dass junge Menschen bereits viel im Ehrenamt leisten und eine intrinsische Motivation für soziales Engagement wichtiger sei als Zwang. Außerdem könne ein verpflichtender Dienst junger Menschen den strukturellen Fachkräftemangel im Pflege- und Sozialbereich nicht beheben. Echte, langfristige Lösungen erforderten qualifiziertes Personal – keine kurzfristigen Aushilfen.
Freiwilligendienste stärken
Beide Redner waren sich einig, dass die Freiwilligendienste gestärkt werden müssen. Dazu gehören eine bessere Bezahlung, flexiblere Modelle und eine stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse von Hauptschülern, Lehrlingen und jungen Arbeitslosen. Auch die Anerkennung der im Freiwilligendienst erworbenen Kompetenzen bei der Studienzulassung oder anderen staatlichen Leistungen wurde als wichtiger Anreiz genannt.
Im Anschluss diskutierten die beiden gemeinsam mit den weiteren Podiumsteilnehmer*innen Gregor Podschun, Bundesvorsitzender Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), Antonia Schwarz, Freiwilligendienstleistende in einem Kinderkrankenhaus im Bistum Speyer und Sigrid Ophoff, Leiterin des Familienentlastenden Dienstes der Lebenshilfe Aachen.
Bedeutung der Motivation und Freiwilligkeit
Sigrid Ophoff, betonte die Rolle der Motivation, insbesondere im sozialen Bereich. Sie hob hervor, dass Dienstleistende eine „soziale Ader“ mitbringen müssten, da verpflichtete Personen ohne Interesse an sozialen Tätigkeiten wenig hilfreich seien. Auch in den Einsatzstellen müsse der Aspekt der Freiwilligkeit stärker in den Fokus rücken: Freiwillige sollten entsprechend gewürdigt und nicht als günstige Arbeitskräfte betrachtet werden.
Zielsetzung eines Pflichtdienstes
Die Diskussion drehte sich auch um die grundlegende Frage: Was soll ein Pflichtdienst eigentlich erreichen? Soll er der Persönlichkeitsbildung dienen oder primär einen Dienst an der Gesellschaft leisten? Antonia Schwarz, Freiwilligendienstleistende beim BDKJ Speyer machte deutlich, dass die Haltung junger Menschen gegenüber einem Dienst eine andere ist, wenn Freiwilligkeit im Vordergrund steht. Sie merkte kritisch an, dass junge Menschen nicht allein dafür verantwortlich sein sollten, gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen. Vielmehr ermöglicht ein Freiwilligendienst Begegnungen über Klassengrenzen hinweg und fördert das gegenseitige Verständnis.
Einigkeit und Herausforderungen
Die Diskussion zeigte eine breite Einigkeit darüber, dass die Konzepte und Ausgestaltung von Freiwilligendiensten sowie eines Pflichtjahres noch viele offene Fragen aufwerfen. Gregor Podschun, Vorsitzender BDKJ-Bundesverband sein klares Bekenntnis zum Visionspapier “Freiwilligendienste 2030”. Er sprach sich klar für die Beibehaltung der ausgesetzten Wehrpflicht aus und fordert ein Ende der Debatte um einen verpflichtenden sozialen Dienst.
Statt Zwang setzt er auf Freiwilligkeit: „Was wir brauchen, ist ein gesetzlich verankerter Anspruch auf die Förderung von Freiwilligendiensten, ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld in Höhe des BAföG sowie eine bundesweite, motivierende Informations- und Beratungsoffensive für Schulabgänger*innen zu den vielfältigen Formen gesellschaftlichen Engagements.“ Dabei betont er: „Ob im sozialen, ökologischen, kirchlichen oder kulturellen Bereich – im In- oder Ausland – oder auch bei der Bundeswehr: Engagement muss freiwillig bleiben!“
Die Generation jetzt! eine Bewegung, die sich für eine gerechte Gesellschaft und die Anliegen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einsetzt. Ziel ist es, demokratische Werte zu stärken und eine generationengerechte Zukunft zu gestalten. Dabei steht nicht die Unterstützung von Parteien oder Politikern im Vordergrund, sondern das Engagement für die Bedürfnisse junger Menschen.